Günther Meier, Dipl.-Betriebswirt (FH)
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Bericht mit ausgewählten Fotos zur Tour am 30.05.2004 von Ludwigsthal über Hartmanice und Modrava nach Srni und Prašily zurück nach Ludwigsthal



von Günther Meier

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Dies war meine erste ausgedehnte Mountainbike-Tour im Frühjahr 2004, also ideal zum Einrollen in gewohntem Terrain. Ich kann allen potentiellen "Wiederholern" dieser Tour raten, sogar etwas früher als 30.05 zu fahren, da die austreibenden Ahorne und Buchen und die von der Schneeschmelze vollen Bäche mit den gelbleuchtenden Sumpfdotterblumen am Ufer nur dann zu finden sind, und dieser ohnedies schon entrückt schönen Gegend noch mehr Wildheit und glasklare Ursprünglichkeit verleihen.
Da dieses Frühjahr aber ein sehr spätes war, war es mir wettertechnisch nicht eher möglich, auf die Strecke zu gehen. Es gibt Frühjahre, so wie im Sonnenjahr 2003, da machte ich meine erste grenzüberschreitende Biketour des Jahres schon am 26. April - wohl noch über ausgedehnte Schneefelder oberhalb 1100m, aber ansonsten bei aperen Bedingungen und bei teils über 30 Grad Hitze - praller und intensiver konnte ich das wunderbare Gefühl des Frühlingserwachens noch nirgendwo sonst erleben als hier im Böhmerwald im Kontrast zwischen Altschnee und Frühjahrssonne !!

Eingangs sei gesagt, diese Tour ist zur Nachahmung im Ganzen nur echten "Hardcorern" empfohlen, da es sich doch um eine Marathon-Distanz von 105 km, einige schwere Pässe und um insgesamt ca. 1400 Höhenmeter handelt. Ich brauche dazu bei einem groben 14er Schnitt ca. 7 h reine Fahrzeit, dies als Anhaltspunkt.

Los ging dieses erste Abenteuer der Saison am Haltepunkt Ludwigsthal, wo ich mit meinem MTB ausstieg.


Bahnhof Ludwigsthal


Von dort führt mich der Regental-Radweg über Zwieslerwaldhaus ca 6 km bis zur tschechischen Grenze bei Ferdinandsthal, einer ehemaligen Glashütte, von der nur noch einige Kirschbäume stehen, die jetzt gerade blühten.
Nach dem Grenzübertritt gehts weiter leicht bergauf bis Debrník (Deffernik), wo ich rechts in die Passstraße zum Fallbaum-Sattel (1200 m, Pod Polomen) einbiege.


Bei Debrnik

Bergahorn-Allee bei Debrnik


Hier gehts richtig bergauf, bis ca auf halber Höhe des Passanstiegs beim Zámecky Les (Schloßwald) der Weg für mich links abzweigt und es einigermassen eben weiter oberhalb Böhmisch Eisenstein (Zelezna Ruda) Richtung Gerlová Hut' (Gerlhütte) entlang geht.


Blick zum Großen Arber


Nun geht es über einen kleinen Pass (Tok) und man erreicht die Straße nach Nova Hùrka (Neuhurkenthal) bei Gerlova Hut' (das frühere Gerlhütte). Hier fahre ich links und überquere gleich darauf die E-53 nach Pilsen, gegenüber führt mich ein asphaltierter Weg weiter nach Nový Brunst (Neubrunst), auch eine ehemalige Glashütte, von der nur noch ein Gebäude steht.


Blick auf Novy Brunst


Atemberaubend weit öffnet sich hier die Landschaft, entrückte Klarheit erfüllt die frische Frühlingsluft, die Stille ist perfekt, nur die Buchfinken singen ihr Lied vom kommenden Sommer in den tief blauen, mit weißen Cumuli geschmückten Himmel.
Ich befinde mich hier im "Prámenište", dem Quellgebiet des Regens (Rezná potok), der ja bekanntlich von hier bis Regensburg fließt. Gleich werde ich die europäische Wasserscheide zur Moldau auf dem Weg nach Starý Brunst (Altbrunst) überqueren. Nach diesem ersten Highlight für die Sinne ergreift einen die Sucht nach mehr!
Nun gehts wieder leicht bergan bis ich wieder auf die E-53 gelange, dort kurz bergab fahre und mich nun schon in einem der malerischsten Täler des gesamten Šumava befinde - dem Tal der Kremelná (Kieslingbach).


Kremelna-Tal


Hier biege ich vor der Brücke links ab, und rolle nun völlig entspannt oberhalb des mäandernden, stahlblau heraufleuchtenden Baches das linke Talufer entlang abwärts. Kilometerweit geht es auf Asphalt durch ausgedehnte Birkenhaine, die in mir Assoziationen mit der nordischen Tundra wach werden lassen.


Birken im Kremelna-Tal

Der Radweg nach Zhuri


Das gleißend klare Licht dieses frischen Frühlingstages taucht alles in ein unsagbar klares, reines und helles Licht, das die Farben und die Weite dieses 50 Jahre vergessenen Niemandslandes noch surrealer auf einen Stadtmenschen wirken lässt, als es ohnehin der Fall wäre.
Langsam komme ich der alten, restaurierten Kapelle von Zhuri, dem früheren Haidel am Ahornberg, näher.


Feldkreuz bei Zhuri

Das Kremelna-Tal


Früher stand hier am Südhang hoch über dem Kieslingbach ein Dorf mit mehreren Dutzend Höfen, von denen nur noch die alten Hofbäume, Bergahorne, Eschen und Bergulmen, geblieben sind. Ohne hier alte Wunden aufreißen zu wollen, oder alte Schuld gegenseitig aufrechnen zu wollen, kommt mir hier unweigerlich der Gedanke, was hier wohl noch vor genau 65 Jahren an so einem Pfingstsonntag im Mai vor sich ging.... - diese Gegend war nach dem Krieg Todeszone und Niemandsland, gesperrt und durchstreift von Militärs. Orte darin wurden mehr oder weniger vollständig "geschliffen", bis auf die Ortschaften Srni (Rehberg), Nova Hurka (Neuhurkenthal, frühere Militärbasis), Prašily (Stubenbach) und Modrava (Madern).
Jeder der jetzt durch diese verzaubert andere Welt radelt, sollte sich ruhig ein paar philosophische Gedanken über das "was wäre hier ohne den Krieg passiert?" machen, denn diese Frage hat für die ehemaligen Bewohner dieser Region existentieller Bedeutung. Tausende Einzelschicksale haben hier ihren Anfang genommen, wovon wiele Ahnenforschungs-Websites im Internet reges Zeugnis abgeben. Und nebenbei hilft es mir zumindest, mein Leben wieder von einem ganz anderen Standpunkt aus zu sehen.


Es geht nun weiter, bergauf bis an die Querstraße nach Prašily, die ich aber überquere und mich nun in die Abfahrt nach Busil und Zezulka begebe, die mich schlußendlich nach Hartmanice (Hartmanitz) führen wird, dem nördlichsten Punkt meiner Tour. In Busil, einem alten Reiterhof einer Lehrerin aus Prag, gibt es sogar die Möglichkeit , Quartier zu beziehen, auch Verpflegung ist möglich. Wieder geht der Weg durch weite Wiesen, schattige Ahornalleen und entlang rauschender Bäche. Am Schluß der Abfahrt noch ein kleiner bissiger Anstieg und ich stehe vor Hartmanice, einem vielleicht 500-Seelen-Dorf, das reizvoll gelegen auf ca 800 m ü.NN liegt. Gelb leuchten die Rapsfelder aus der flacheren Gegend von Klattau herauf, ebenso gelb leuchtend blühen hier die Löwenzahnwiesen.


Bei Hartmanice


Ich biege zwei mal rechts ab und fahre die Straße hinauf nach Dobrá Voda (Gutwasser), in dem auch ein Denkmal an den Krieg erinnert. Kurz vor Gutwasser biege ich dann links ab, hinauf nach U Máleho Babylonu (Beim kleinen Babylon). Diese Ortsbezeichnung markiert den Pass, nach dem es für mich nun bergab geht nach Stodùlky, der früheren 3000-Einwohner Gemeinde Stadln. Davon sind ebenfalls nur eine mehrere qkm große Lichtung, mit Birken, Pappeln und Weiden bestanden, sowie die alten Alleebäume geblieben.
Gewaltig präsentiert sich nun das Panorama von diesem Südhang der Kremelná (Kiesleiten, 1125 m), der namensgebende Berg zum gleichnamigen Bach im Tal. Zu sehen sind Polednik (Mittagsberg, 1315 m) mit Aussichtsturm, der Zdanidla (Steindlberg, 1308 m) oberhalb von Prašily und sogar der Große Arber weit im Nordwesten. Der Begriff "Weite" wird hier für mich jedesmal aufs Neue definiert.

Eine rauschende Abfahrt folgt meiner Rast auf einer Sitzbank am Wegesrand, sie führt mich hinab auf die alte Panzerbrücke über die Kremelná, die hier schon beachtliche Breite hat. Der süße Duft der Traubenkirschen-Blüten weht mir im Mittagswind auf der Brücke um die Nase, die blauen Wasser unter mir säuseln die Symphonie der totalen Entspannung dazu.


Abfahrt von Stodulky zur Brücke über die Kremelna


Weiter führt mich der Forstweg nun nach Velký Bor, dem früheren Großhaid, einer weiteren nicht mehr existenten, ehemaligen Ortschaft.
Ich komme nun an die Straße zwischen Prašily und Srni, fahre kurz links, und biege gleich darauf rechts ein in den Radweg hinauf nach Nová Studnice (Neubrunn). Steil ist hier der Anstieg, doch grandios die Ausblicke und der dunkelgrüne, würzig duftende Hochwald. Oben ein blühender Kirschbaum eines ehemaligen Anwesens, wie er schöner nicht sein könnte. Manches überdauert eben doch die Zeiten!


Kirsche bei Nova Studnice


Nun links bergauf zum Pass bei Vanková cesta, 1153 m hoch. Dann wieder eine rauschende Abfahrt hinunter nach Javori Pila (der früheren Ahornsäge) mit Blicken zum Lusen und zum teilweise noch Schnee tragenden Rachel-Nordhang, hinunter zu einem Juwel dieser Tour, dem Hochtal des Rachel- und Müllerbaches (Roklanský und Modravský potok), auf über 1000 m Höhe gelegen.


Die Rybarna bei Modrava


Erneut fangen mich tundrenartige Birkenhaine, schwarzgrüne Waldkämme und das tiefblaue Wasser des ca. 10 m breiten Baches mit ihrer an Authentizität nicht zu überbietenden Stimmung ein. Der gut fahrbare Weg lässt mich an Heidekraut und Latschenfilzen vorbeirollen, frühlingstrunkene Tschechen liegen genüßlich am Bachufer im noch vom langen Winter braunen Gras und genießen die Wärme der Frühlingssonne.
Überhaupt scheinen die Tschechen viel mehr mit dem MTB unterwegs zu sein als die Deutschen. Der Eindruck dies- und jenseits der Grenze ist 100 zu 1 unterschiedlich. Im Šumava radeln ganze Familien, sogar Senioren- und Frauengruppen quälen sich die Pässe mit Bravour hoch. Und die meisten grüßen mit einem herzlichen "Ahoj", was nichts anderes als ein freundliches "Servus" bedeutet. Offensichtlich haben die Tschechen bereits erkannt, welches Naturjuwel sie hier noch vor der Haustüre haben, und nutzen dieses auch.


Nun bin ich gleich in Modrava (tschechisch für "blau", vielleicht wegen der blaugrünen Wälder ringsum?) angelangt, dem früheren Madern, einer Anfang des 19 Jh. sehr beliebten und frequentierten Sommerfrische im Böhmerwald. Auch heute gibt es dort Unterkunfts - und Verpflegungsmöglichkeiten, sowie sehr schöne, renovierte Hotels und Pensionen. Durch den Ort links fahre ich nun das Tal der Vydra (Widra) entlang nach Antýgl, einer früheren Glashütte mit nur einem Schmelztiegel, daher eingetschechischt "Antýgl" (Ein Tiegel).


Steinbrücke über den Vydra-Schwemmkanal bei Rokyta


Dort biege ich links ab über die Brücke, und fahre nun ca. 10 km entlang am Schwemmkanal von Antýgl nach Srni. Die malerischen Granitsteinbrücken sind ein tolles Fotomotiv. Total eben geht es an Rokýta vorbei, bis ich an die Straße von Srni (Rehberg) nach Prašily (Stubenbach) komme.


Blick von der Straße bei Srni zum Kiesleiten

Blick zum Kiesleiten bei Srni


Diese fahre ich nun entlang bis Prašily (Stubenbach), einem alten Holzfällerdorf unterhalb des mächtigen Zdanidla (Steindlberg, 1308 m). Hier gehts gerade durch den Ort, voll in den Hang hinein, der den Puls leicht auf 160 treibt, zumal man hier schon ca 85 km in den Beinen hat. Es folgt ein schwerer Anstieg hinauf nach Horni Zdanidla (Obersteindlberg), auch wieder einer verlassenen Siedlung auf 1060 m Höhe. Ich fahre hier geradeaus nach Gsenget (Poust Pomezí), dem Grenzübergang nach Deutschland.


Feldkreuz bei Horni Zdanidla bei Gesenget


Vorbei an alten Feldkreuzen und einsam blühenden Osterglocken als einzigen Zeugen der früheren Besiedlung hier oben, fahre ich hinunter zum Marchbach, dem Grenzbach am Gsenget. Von da geht es auf deutscher Seite nun wieder bergauf bis zum Scheuereck-Pass auf ca 1100 m, von dort sind es noch ca 10 km genüssliche Abfahrt zum 460 Höhenmeter tiefer gelegenen Haltepunkt Ludwigsthal, weitgehend asphaltiert sogar.
Wundert euch nicht, wenn Ihr vom Gsenget aufwärts auch Mitte Mai noch durch Schneefelder kommt, völlig normal hier oben, der Winter hier hat einfach eine andere Dimension.
Nach der ersten Abfahrt komme ich nach Scheuereck, einer kleinen Ortschaft am Gegenhang des Falkenstein, von dort fahre ich weiter über Kreuzstraßl und Schleicher bis Ludwigsthal-Bahnhof.

Die 105 km sind perfekt und der Tag dürfte, falls Ihr die Tour nachgefahren seid, auch bald zu Ende gehen.
Das Gefühl nach so einem Tag ist eine Mischung aus positiver Erschöpfung, geistiger Anregung durch das Erlebte und einem ganzheitlichen Rausch der Sinne durch die erfahrene Vielfalt an Düften, Klängen, Ausblicken und Stimmungen.

Ich wage sogar, hier zu sagen: Wer einmal hier war, kommt immer wieder !!

Falls Ihr noch genauere Infos zur Tourplanung braucht, einfach kurze Mail an mich. Überdies sind in der in der Region ŠUMAVA die Radwege wirklich in vorbildlicher Art und Weise ausgeschildert und beschrieben, besser vielfach als auf deutscher Seite, einizig ein wenig Tschechisch sollte man können, bzw. sich was unter den Namen der "Böhmischen Dörfer" vorstellen können, zur Orientierung mit den Karten. Als Karten empfehle ich entweder die topographischen Karten 1:25000 des Bayerischen Landesvermessungsamtes, erhältlich in jeder gut sortierten Buchhandlung, oder auch die neuere Mountainbike-Karte "Nationalparkregion Bayerischer Wald" zu den Radwegen im Böhmerwald beidseits der Grenze, erhältlich beim Tourismusverband Ostbayern.

Abschließendes Fazit: Wer unberührte Wildnis, uralten Siedlungsraum und vielfältigste Flora und Fauna er-fahren will, wird hier auf dem "Eldo Rado", dem Radwegenetz auf dem Grünen Dach Europas, voll zum Zuge kommen und auch sportlich alles geboten bekommen. Der Kalte Krieg hat vor allem auf tschechischer Seite ein Juwel an unberührter Wildnis erhalten, das europaweit seinesgleichen sucht, allein schon von der Ausdehnung her gesehen!

Viel Spaß bei Eurer persönlichen Entdeckungsreise durchs "Bömische Kalifornien". -Mehr Wildnis als ein Mensch je entdecken kann !

© Günther Meier 2006, Fotoverbreitung unter Bezugnahme auf Urheber von mir aus erlaubt.

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Hebt man den Blick, so sieht man keine Grenzen.